An die schon länger hier Lebenden
Ich besuche meine Eltern,
manchmal in Gedanken,
manchmal auf dem Friedhof.
Sie wurden in den 20ern geboren.
Meine Mutter mußte als Jüdin
über Antwerpen nach England
fliehen. Mein Vater wurde
MG Schütze auf einem Sd.Kfz. 250
und überlebte den Hürtgenwald.
Meine Eltern lernten
sich im Kriegsgefangenenlager
kennen. Meine Mutter kam
als Hilfsschwester des Roten Kreuzes
in ihr Heimatland zurück, um
Geschwister zu suchen.
Meine Eltern bauten dieses Land
mit ihrer Hände harter Arbeit
wieder auf.
Ich hörte
sie nie klagen. Aber sie
erzählten vom Krieg.
Von den Nöten während und
nach dem Krieg.
Meine Tante heiratete
einen englischen Offizier
und zog nach England
zu meinen anderen Verwandten.
Meine Eltern „gingen“ am Ende
der 50er Jahre auf Montage
nach Brasilien. Immer im
besten Glauben an dieses Land.
Sie schickten regelmäßig
Stütze an die Großeltern
und Geschwister, die hier
geblieben waren.
Das war das Band der Liebe,
welches man Verantwortung nennt!
So wuchs ich auf.
Ich erinnere mich,
wie ich am Strand
von Bahia stand
und mein großer Bruder für mich
einen Drachen steigen ließ.
Als wir Anfang der
70er zurückkamen,
konnte ich kaum
ein ungebrochenes
Wort meiner Muttersprache.
Ich war fremd
in diesem Land.
Und das bin ich immer
noch,
obwohl ich genau weiß:
Dies hier ist meine
Heimat.
Hier lebte und lebt meine Familie.
Hier ist meine
Traurigkeit zuhause.

Wer glaubt, dass Volksvertreter das Volk vertreten, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.