
Im Geiste des Anderen
Warum herrscht dieser Krieg im Herzen der Natur? Warum bekriegt die Natur sich selbst? Kämpft das Land gegen die See? Gibt es eine rächende Kraft in der Natur? Nicht nur eine Kraft, sondern zwei? (Thin Red Line)
Unentspannt
Warum ist es so schwierig
den Geist des Anderen
neben sich selber zu dulden?
Warum darf er nicht so
brennen, wie man selbst,
auch wenn er ein anderes Licht
spendet, kühler oder heller
vielleicht? Was ist am Anderen,
das immer wieder Widerspruch
erzeugt, egal wann und wo?
Ist es seine Größe und Stärke,
die uns Angst macht? Ist
Überlegenheit so bedrohlich?
Ist es seine Schönheit und Würde,
die wir neiden? Ist Begierde so schwer
zu beherrschen? Was ist es nur am Anderen?
Seine Intelligenz, die er uns
vielleicht schenkt aus Großherzigkeit,
ist sie eine Gefahr für Leib und Leben?
Sind uns die Rivalen im Herzen
ein milder Dorn im Auge der Weisheit?
Ist geteilte Weisheit nicht doppelte?
Warum ist so wenig Geduld in den
Händen der Menschen, um den
Augenblick wertzuschätzen?
Waum lassen sie immer alles fallen,
was sie berührt, wie eine heisse Kartoffel?
Kann ein geteiltes Mahl nicht mehr
sättigen, weil es nicht nur Hunger stillt,
sondern auch Zuneigung spendet?
Ich weiß es nicht!
Was soll ich Thesen bilden,
für die ich vielleicht selber blind
bin? Balken und Splitter am Tempel
der Welt sind eine Notwendigkeit!
Wer zu lange zweifelt und alles betrachtet
handelt nicht mehr. Er stirbt im Erwägen
und wird mutlos, wie eine Pflaume, die im
Wind vom Baume fällt. Der Süße Wurm!
Ich habe kein gutes Argument
für Hass, aber auch kein gutes
für Liebe, – weiß ich doch, im Anderen
wohnt der Untergang, wie in mir selbst!
Im Argument sitzt der Wurm des Willens;
nichts an ihm ist zwingend. Wir glauben an
seine Macht, als wäre es ein Kind, welches
man nur zu füttern braucht, damit es wächst;
aber so funktioniert die Seele nicht, noch der Verstand!
Die Welt zu lieben, wie eine Mutter
ihr Kind, sei es Adlermutter oder
Bärenmutter, fällt mir nicht leicht.
Jede Mutter muß für ihre Kinder
der Natur gehorchend auch
töten. Tiere töten nicht aus Spaß;
anders, der Mensch: Er kennt
seine Natur nicht und lebt in Gedanken,
Gefühlen, Glauben; meist Impulsen:
Ich muß lernen mich zu hüten,
vor Übertreibungen und Unterteibungen,
denn wir sind Treibholz auf
dem Meer der Impulse.
Das weiß ich zu genau: Ich habe kein
anderes Maß als die anderen, von Kindes
Beinen an, als sie mir die Beine brachen,
die Stimme raubten und die Augen blendeten
und mich dann wieder und wieder heilten; wozu?
Das Gute, wie das Böse, erfuhr ich im Anderen!
Aller Grund ist verloren, weder für Vertrauen
noch eben für Mißtrauen;
Und dennoch brauche ich sie,
weil ich sie liebe,
meine Brüder und Schwestern;
wir sind alle aus demselben Holz,
gewogener Wuchs in Stolz, selten im Lot
und einen weiteren Reim darauf versag ich mir….
Liebende, wäre nicht der andre, der
die Sicht verstellt, sind nah daran und staunen . . .
Wie aus Versehn ist ihnen aufgetan
hinter dem andern . . . Aber über ihn
kommt keiner fort, und wieder wird ihm Welt. (Rilke)