Philosemitismus oder der Antisemitismus des schlechten Gewissens (für Max Frischs Andorra)
Neulich auf einem Kongress:
“Sach mal, Du hast doch Verwandte,
die Auschwitz überlebt haben?
Würden die für eine Dokumentation
darüber reden, wie es war?”
“Frag doch Deine Verwandten,
wie es war. Die waren doch auch
dabei gewesen!”
Schweigen. Erinnerungskultur
der Opfer ist nicht Aufarbeitung
der Geschichte. Erst die Erinnerung
der Täter macht daraus einen Schuh.
So begegne ich jeden Tag dem
Philosemitismus. Von der Ratte
bis zum engelsgleichen Wesen:
Erzähl mal aus Deinem Nähkästchen,
als ob gewöhnlich Traumatisierte
einfach so erzählen könnten:
Aber Juden können ja alles, klar!
“Pass mal auf….”, sach ich,” Gott
ist nicht beschnitten. Und Antisemitismus
ist nicht die Shoa. Guck mal unterm Bett,
die tausend Bücher Literaturgeschichte,
die Ideen der Belesenen, die erlesenen Kunstwerke
der Bildungsbürger: Voller Antisemitismus.
Der Judenhasser ist eine lange Deutsche,
Europäische und christliche Geschichte!
Shoa ist was anderes. Shoa geht über
den Genozid hinaus:
In Ausschwitz starben Deutsche,
Franzosen, Polen….Europäer-
Es wurden dort Handwerker
und Akademiker gleichermaßen
verheizt. Es wurden Familien
dort zerstört. In die Kammern
des Schreckens gingen Söhne, Töchter,
Väter, Mütter, Cousins und Cousinen, Tanten,
Onkel, Neffen, Kinder, Großeltern,
Kleine, Dicke, Runde, Lange…Berühmte
und Unrühmliche
…….in Auschwitz starben Menschen, nicht
Juden, verstehst Du!”
Schweigen.
Und so versuche ich immer wieder
klar zu machen, daß Jude zu sein,
ein Zufall und kein Schicksal ist.
Mit dieser Ansicht ecke ich dann
bei Juden an. Was bin ich doch
froh, daß die Welt sich dreht
und nicht hopst.
Der Antisemitismus der satirischen Linken: