In Erinnerung an Moti Galili, der nicht in Gaza starb.
Sag mal…. oder, wenn Heisse Kartoffeln fallen
1. Sag mal, hast Du darüber nachgedacht, warum unsere Liebe gerade so scheiterte? Waren es meine Verliebtheiten oder Deine Form von Treue? War es Deine Sucht nach Geborgenheit oder meine Notdurft nach Freiheit? Warum kamst Du in die WG, in der meine Frau und ich in offener Beziehung lebten? Warum zogst Du so schnell in eine Ruine, als es nichts zu zerstören gab?
2. Weißt Du noch,wie ich Nachts vor Deiner Ruine stand,versteckt hinter nem Verteilerkasten und Dich und den Hilfs-Bildhauer durchs Küchenfenster beobachtete,wie Ihr Wachteleier verspeist habt? Und mir liefen die Tränen
über Wangen,heiss vor Scham und Wut. Ach ja, Du kannst es ja nicht wissen,hab Dir’s nie erzählt.
3.Hab ich Dir erzählt, wie jeder Brief,den Du nach Deinen Kontaktanzeigen bekommen hast, mich fast in die Katatonien schubste? Ich hörte masochistisch zu,wie Du ihr Werben lächerlich machtest und kamst Du von Rendezvous zurück,
kicherte ich manisch leis in mich hinein. Abends sah ich in den Schnapsspiegel und fragte mich,wo meine Selbstachtung abgeblieben sei.
4. Weisst Du noch, wie Du mich batest, dem speerwerfenden Kunstschwaben, der Dein “Lover” war,- wie Du Deine Lustopfer nanntest,-Niederländisch beizubringen, da er vor hatte, in Amsterdam zu studieren? Ich lieh ihm meine Bücher, aber lehren konnte ich ihn nicht, da ich mir die Demütigung ersparen wollte, ihm aus Bram Stoker vorzulesen.
5. Sag mal, erinnerst Du Dich noch, wie ich Dir Räuberpistolen erzählte, damit Du Dich beschlafen liessest? Das Leben in dieser Provinzstadt war ja so öde, die “Lover” brachten es auch nicht, aber dieser anhängliche versponnene Dichter war eine nette Abwechslung, brachte er ja auch immer den gewünschten Mumm Sekt und die nötige anderen Drogen und die Bereitschaft Dich zu verehren mit.
6. Erinnerst Du noch, wie wir uns wie rein zufällig jeden Mittag in der Küche der WG am Lindenplatz trafen und wir uns unsere Leben gegenseitig erzählten? Oft lästerten wir hochnäsig schamlos über die Menschen um uns herum, und aus Langeweile fabulierten wir die absurdesten Obszönitäten. Damals ahnte ich noch nicht, dass wir dies alles umsetzen würden,wie Motoren Benzin.
7. Kannst Du Dich noch entsinnen, wie Du mir weinend erzähltest, wie Dein Vater, der ewige Berufsunteroffizier, Euch Kinder am Abendbrottisch mit Quizfragen drangsalierte und Euch jedes mal der Appetit verging? Er rief Dich und Deine zwei Brüder nach Erzengeln. Nacht kam er in Dein Zimme. Er war ja so eisern, dass ihr nicht wagtet, ihm das “ComingOut” Eures Bruders Ralph zu erzählen.
8. Siehst Du es auch noch heute vor Dir, wie Dich Deine grosse Liebe Johannes mit vorgehaltenem
Messer vergewaltigte, weil er Deine ewigen sexuellen Spielchen nicht mehr ertrug? Er war ein guter Langläufer, drahtig, wie Du, ein echter Hundeliebhaber! Aber Eure gemeinsame Zeit in Düsseldorf war die Hölle, nur wessen? Immer wieder gewalttätiges Amour fou, warum nur?
9. Magst Du Dich noch daran erinnern, wie Du mich Deinen sinnlosen, Image pflegenden Freunden vorstelltest? Diese belanglose Irmi, die so viel Wert auf ihr hässliches Äußeres setzte? Oder die Kneipenbesitzerin aus der HardRockszene, die pleite ging und sie mit Versicherungsbetrug und geliehenen 20.000 von Dir nen Szenecafe eröffnete? Ich musste immer mit, obwohl ich litt.
10. Erinnerungen im Bilderrahmen und keine ist wahr, weil letztlich subjektiv. Ich sehe Dich immer noch verzweifeln, wie wir im Kintop “Rashomon” anschauten. Du vergrubst Deine Hände unter Deine Oberschenkel, wie jemand, der nötig zur Toilette muss und wipptest wie hospitalisiert von vorne nach hinten. Ich konnte Dir die Pein nicht nehmen, ich wollte nicht. Blieb bis zum Ende.
11. Oder weisst Du noch, nachdem ich Dir die Diplomarbeit geschrieben hatte und Du Dein Examen in der Tasche hattest, wolltest Du weg aus dieser Provinz, nach Berlin. Du ludst mich ein mitzukommen, als Dein “Hausboy”. Doch ich zögerte. Ich ertrug es nicht, dass Du mich genauso benutzt hattest, wie all die anderen “Lover”. Ich wollte nur weg von Dir.
12. Ich erinnere mich noch, wie niedergeschlagen ich war. Ich taumelte durch die Kneipen dieser Stadt und lernte im Provisorium dieses Mädchen namens Anita kennen. Exotisch, schön mit Katzenaugen und vielen Spleens. Sie half mir schnell über Dich hinweg, da sie voller Lebenslust war. Sie studierte dasselbe wie Du und hatte mehr “Lover” als Fingerringe.
13. Ist es Dir noch im Gedächtnis, wie ihr beiden emanzipierten, promisken Aphoroditen in der Fachhochschule ins Gespräch kamt und abends beim Bier feststelltet, dass ihr denselben “Lover” teiltet? Ich weiß noch euren Anruf, wie ihr mich zu Euch in Deine Ruine bestelltet, um mich vor Eurem weiblichen Schandtribunal des Betruges zu bezichtigen.
14. Ob sich daran noch jemand erinnern will? Noch am selben Abend nötigtest Du mich bei Dir zu bleiben und Dich nicht wie eine Heisse Kartoffel fallen zu lassen. Wenn ich jetzt ginge, brächtest Du Dich um. Ich bat Anita um Verständnis für Deinen Nervenkollaps. Sie liess uns allein. Es begann eine Nacht der Bezeugungen und Tränen.
15. Will das noch jemand wissen,was ich jetzt erinnere? Es began die Zeit des Feilschens. Zwei konkurrierende Hetären geizten weder mit Französisch noch Arabisch. Wir drehten Filme, Exzesse satt. Wir sprachen nie über mich, aber immer über Eure gekränkt Eitelkeit. Der Hilfsbildhauer drückte es so aus:”Konkurrenz belebt das Geschäft!”
16. Ich entsinne mich, als ich erfuhr, dass meine Frau schwanger umzog und Du schneller dort hin verschwunden warst, als ich überhaupt begreifen konnte: Zwei Frauen in Berlin und mein Kind noch nicht da, so pendelte ich von Woche zu Woche, bis ich aufgab und mir selber eine finstere Wohung nahm, Paterre Hinterhaus links, nah meinem Sohn, meine Gruft.
17. Weisst du noch, Du schlepptest mich durch die Szenen, die schwule, die künstlerische und künstliche und beharrtest auf Paarsein, obwohl wir uns immer weiter entfernten? Wir besuchten Hilfsbildhauer und Psychotherapeuten, und ich neidete Dir Deine beliebte Beliebigkeit: Ich zog mich zurück. Ich wartete auf die Geburt, was Dich immer zickiger werden liess.
18. Ich sehe es noch immer vor mir, als mein Sohn geboren war: Wir trafen uns nach Termin. Dein Leben mit Dir zu teilen langweilte mich, weil meines spannend geworden war: Du neidetest uns das Kind, Eifersucht bohrte sich durch Deine Augen. Dann bekam ich Krebs, doch ich erzählte Dir nichts. Ich wollte Deine Missgunst nicht mehr in meinem Leben haben.
19. Du erinnerst Dich nicht, aber ich mich um so mehr: Ich half Dir noch bei der Geburt Deiner Tochter. Anschliessend ging ich ins Kino, um “Ma nuit chez Maud” anzusehen. Danach wusste ich, dass ich in einer Falle sass, meiner Moral. Wochen später wurde ich operiert und die Schwester im Aufwachraum sagte mir, dass Du mich suchtest. Ich liess mich verleugnen.
20. Entsinne ich mich recht, dass vorletzte mal trafen wir uns bei aglio olio, um unsere Beziehung abzuwickeln. Ich erwachte auf der Intensivstation im Urban. Das SEK befreite mich vom Vorwurf des Mordversuches. Das vorletzte mal trafen wir uns am Landgericht. Die Richter belächelten Deinen Versuch einer Einstweiligen Verfügung.
21.Wenn ich es recht überlege, trafen wir uns das letzte mal am Familiengericht. Der Richter meinte, hier sei keine Einigung mehr möglich. Er legte mir nahe, meine Vaterschaft zu überprüfen. Ich tat es nicht. Ich warte auf meine “Tochter”, Kartons voller Fotos, Briefe, Bücher, Filme. Sie stehen bereit für sie, damit sie die Vergangenheit besser versteht, die ihre Zukunft bestimmen wird.